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Vortragsreihe

Als Hintergrundinformation zum Projekt DENKmal Sterbfritz fanden drei Vortragsveranstaltungen zu den unterschiedlichen Ansätzen des Konzeptes statt:

 

 

 

 

Vortragsabend zum jüdisch-christlichen Zusammenleben im Rahmen des Projekts DENKMAL Sterbfritz stößt auf großes Interesse

Drei Bücher über Sterbfritz

 

„Drei Bücher über Sterbfritz gibt es. Sie alle berichten vom jüdisch-christlichen Zusammenleben in Sterbfritz.“ So eröffnete Thomas Müller am letzten Dienstag seinen Vortrag über die jüdisch-christliche Beziehung im kleinen, aber voll besetzten Saal der Mehrzweckhalle in Sterbfritz. Die Ursprünge dieses jüdisch-christlichen Zusammenlebens in Sterbfritz seien bis ins 17. Jahrhundert zurückzuverfolgen. Denn mit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges entstand in Sterbfritz, wie an vielen Orten in Hessen, eine Landjudengemeinde; die Territorialherren hatten damals das Ziel, die durch den Krieg dezimierte Bevölkerung hierdurch wieder zu vermehren.


Doch was erinnert heute noch daran, dass es einmal Juden in Sterbfritz gab, fragte Müller

die Zuhörer: Zum einen sei etwa die Mikwe, das jüdische Ritualbad, zu nennen, das zwar immer noch existiere, sich aber in einem desolaten Zustand befinde. Zum anderen finde man immer noch den Abdruck der Mesusa, einer Kapsel mit Segensworten, die im Türrahmen befestigt wird, an zwei Sterbfritzer Häusern.


Nach diesem Einstieg ging Müller nacheinander auf die drei Bücher über Sterbfritz ein: Zuerst zeigte er anhand des Buches „Aus unbeschwerter Zeit“ von Max Dessauer eindrucksvoll auf, wie der jüdische Verfasser selbst Erlebtes und ihm Überliefertes über seine unbeschwerte Kindheit in Sterbfritz, daher der Titel, in anekdotenhafter Form erzählte. Denn es war eine Zeit, in der Christen und Juden in Sterbfritz einmal brüderlich beieinander lebten, wie es ganz zu Beginn bei Dessauer heißt. Dieses friedliche Beieinander verdeutlichte Müller anhand mehrerer Anekdoten aus dem Buch: Da die Juden am Sabbat, also dem Samstag, nicht arbeiten dürfen, kamen in Sterbfritz bereits am Freitagabend christliche Frauen, um die Arbeiten zu verrichten, die den Juden am Sabbat zu erledigen verboten war. Es wurde sogar eigens für diese Tätigkeit ein Begriff etabliert: Die Sabbatfrau, oder das Schabbesgoje. Nicht zuletzt sei es aber auch die Armut gewesen, die Christen und Juden zusammenbrachte und dazu führte, dass man sich gegenseitig half und füreinander einstand.


Von einem ähnlich harmonischen Zusammenleben berichtete Müller anhand des Buchs „Hanjürg der Letzte“, das von Johann Georg Schwarz stammt. So erfuhren die Zuhörer aus der Lebensgeschichte dieses kleinen Mannes, wie es im Buch selbst heißt, etwa von Julius Klein, über den Schwarz folgendes schrieb: „Einer unserer besten Freunde war Julius Klein, ein Judenjunge, der mit uns durch Dick und Dünn ging und mit dem man, wie man sagt, Pferde stehlen konnte.“ An anderer Stelle im Buch erfährt man, dass Schwarz‘ neugeborener Bruder Johannes von Frau Goldschmidt, der jüdischen Nachbarin der Familie Schwarz, die ebenfalls ein Neugeborenes hatte, gesäugt worden ist, da Johannes‘ Mutter hierfür zu schwach war. Derartige Erzählungen und Begebenheiten ließen das innige Verhältnis von jüdischen Familien und ihren nichtjüdischen Nachbarn zum Ausdruck
kommen, wie Müller hervorhieb.

 

Und dennoch: Die Dorfgemeinschaft sei zerbrochen, die Freundschaften, die einst bestanden, seien abgebrochen worden, als die Nationalsozialisten an Einfluss gewannen und Sterbfritz sich nicht entziehen konnte und auch nicht wollte. Über diese Zeit erfuhren die Zuhörer aus dem Buch von Henry Schuster, einem nach Amerika emigrierten Juden aus Sterbfritz, das daher den Titel „Von Sterbfritz nach Las Vegas“ trägt. Hier beschreibt Schuster eindringlich, wie er und seine Familie, die 1935 den Vater verlor, unter den Repressalien und Schikanierungen der Nazis in Sterbfritz leiden mussten, jenen Anfeindungen, die zum Wegzug der Familie aus Sterbfritz führte und die für Schusters Mutter und Schwester im Tod im Konzentrationslager endeten. Zum Schluss warf Müller die Frage auf, wie es dazu kommen konnte; wie konnte es zu diesem Judenhass angesichts der intakten Dorfgemeinschaft kommen? Müller zeigte auf, dass der Antisemitismus 1933 nicht aus dem Nichts gekommen sei, da es bereits im Kaiserreich im Bergwinkel judenfeindliche Hetze gegeben habe.


Derartiger Hetze entgegenzuwirken sei das zentrale Anliegen des Projektes DENKMAL Sterbfritz, von dem die Botschaft ausgehen soll: Nie wieder!

 

 

 

Der „Judenbürgermeister“ und die Nazis

Zweite Veranstaltung im Rahmen von Projekt „DENKmal Sterbfritz“


„Jong! Dos well ich Dir soch: denne Jüre, denne honse in Starwetz nix gedoh.“ Mit dieser Einschätzung des jüdisch-christlichen Zusammenlebens durch einen älteren Sterbfritzer vor gut 20 Jahren eröffnete Thomas Müller am Kirmessamstag im bis auf den letzten Stuhl besetzten Feuerwehrhaus einen weiteren Vortrag im Rahmen der Veranstaltungs-reihe zum Projekt „DENKmal Sterbfritz“, der klar herausstellte: Ja, auch in Sterbfritz hat man den Juden sehr wohl etwas getan. „Man“, das heißt Sterbfritzer Bürger, haben ihren jüdischen Nachbarn ziemlich übel mitgespielt.


Welchen Anfeindungen und welchem Hass Juden schon am Beginn der NS-Herrschaft in Sterbfritz ausgesetzt waren, zeigte Müller beispielhaft anhand der gewaltsamen Abset-zung des Bürgermeisters Kaspar Alt im Jahr 1934 auf. Am Anfang stand die Einrichtung eines Nachtwachen-Dienstes in Sterbfritz, zu dem zunächst auch die jüdischen Sterbfritzer Bürger herangezogen wurden.

 

Hieran entzündete sich der Konflikt zwischen den Sterbfritzer Nationalsozialisten und Bürgermeister Alt, und so konnte man im Februar 1934 im Frankfurter Volksblatt, dem amtlichen Organ der NSDAP im Gau Hessen-Nassau, lesen, dass die Sterbfritzer Nazis es „entschieden ablehnten“, sich von Juden bewachen zu lassen, auch weil diese „Nacht-wächter-Juden“ sich „erdreistet“ hätten, das SA-Lokal in Sterbfritz zu kontrollieren.

 

Da der neu ernannte NS-Landrat von Gilsa von Bürgermeister Alt eine Stellungnahme einforderte, erklärte dieser: „Da nun einmal die Juden hier in Sterbfritz ansässig sind, Rechte und Pflichten haben, so sind diese ebenfalls wie die übrigen Ortsbürger zur Nacht-wache angeheißen worden.“ - „Hier wird deutlich, dass Kaspar Alts Einstellung den Juden gegenüber eine gänzlich andere war als die der Nationalsozialisten. Alt sah die Juden als Bürger, die Rechte und Pflichten hatten“, so Müller in seinem Vortrag. Diese Einstellung habe Alt jedoch bei den Sterbfritzer Nazis in Misskredit gebracht und schließlich zu seiner Absetzung geführt, die sich in mehreren Schritten vollzog: Nachdem Schmierereien am Rathaus („Weg mit dem Judenbürgermeister!“) und ein erster Versuch des NSDAP-Orts-gruppenleiters Konrad Schreiber, Alt abzusetzen, erfolglos geblieben waren, eskalierten die Dinge innerhalb zweier Tage, bis sich auch noch der NSDAP-Kreisleiter Puth einschal-tete, der die alkoholisierte Sterbfritzer SA dazu anstachelte, Bürgermeister Alt abzu-setzen. Letzterer legte schließlich nachts sein Amt nieder, um „Mord und Totschlag zu vermeiden“, wie Alt selbst zu Protokoll gab. Damit war mit Kaspar Alt ein Bürgermeister abgesetzt worden, dessen einziges „Vergehen“ es war, die Sterbfritzer Juden als normale Bürger behandelt gehabt zu haben.

 

Müller machte in seinem Vortrag deutlich, dass es schon in diesen ersten Jahren des „Dritten Reichs“ wiederholt und gehäuft zu gewalttätigen Über-griffen auf jüdische Bürger und ihr Eigentum gekommen ist – nicht zuletzt auch im zeitlichen Umfeld der Absetzung des Bürgermeisters Alt. Jüdische Bürger wurden verprügelt und Fenster-scheiben an ihren Häusern eingeworfen, ja sogar Schusswaffen wurden dabei eingesetzt, mit denen die NS-Aktivisten auf und in die Fenster der Juden schossen.

 

Dass die nun in Sterbfritz erstarkten Nazis die Auffassung Alts keinesfalls teilten, zeigen die Folgeereignisse: Am 10. November 1938, der sogenannten Kristallnacht, ereigneten sich in Sterbfritz gewalttätige Ausschreitungen gegen die ortsansässigen Juden vorher nie gekannten Ausmaßes. Das Innere der Synagoge wurde verwüstet; es gab wohl kaum ein jüdisches Haus in Sterbfritz, in das die Nazis nicht eindrangen. Wohnungen und Geschäfte wurden verwüstet, Einrichtungsgegenstände auf die Straße geworfen, Fenster einge-schlagen und die Bewohner zum Teil aufs Übelste misshandelt.


Müller resümierte, dass im Jahr 1933, zu Beginn der NS-Herrschaft, 93 Juden in Sterbfritz lebten. Zwischen 1933 und 1938 habe annähernd die Hälfte von ihnen ihren Heimatort verlassen. Von den 44 jüdischen Menschen, die die Pogromnacht in Sterbfritz erleben mussten, seien 29 Personen aus dem Dorf zwischen Ende 1938 und 1940 weggezogen, die meisten von ihnen im unmittelbaren zeitlichen Umfeld des Pogroms vom 10. Novem-ber 1938.


Und der ehemalige Bürgermeister Alt? Er blieb seinen Prinzipien treu und wurde als
„Judenfreund“ angeprangert, weil er Juden geholfen hatte, die Schäden auszubessern, die
während der Ausschreitungen an ihren Häusern und Wohnungen entstanden waren –
wohlwissend, dass er damit den Zorn der Nazis auf sich zog, wie Müller ausführte. Er blieb
also bis zum Schluss ein Mann von bürgerlichem Anstand, der seine jüdischen Nachbarn als Menschen und Staatsbürger ansah und behandelte.


Zu derartiger Zivilcourage zu ermutigen und dem Antisemitismus, der auch in unserer Zeit wieder seine Anhängerschaft findet, entgegenzuwirken sei ein zentrales Anliegen des Projektes DENKmal Sterbfritz. Mit der Veranstaltung wurde auch der Aufruf zu Spenden für das Projekt verbunden.


Im Anschluss an diesen zeitgeschichtlichen Vortrag führte Dirk Ebenhöch in einem Dorfrundgang zu den Schauplätzen der beschriebenen Ereignisse und gab weitere Informationen zu den Orten und den Geschehnissen dieser Zeit.

 

 

Dritter Vortrag zum Projekt DENKmal Sterbfritz

 

Der Dorfverein ‚Starwetz lebt!‘ ludt alle Mitbürger zu einem weiteren Baustein der Informationsveranstaltungsreihe zum Projekt DENKmal Sterbfritz ein. Der Vortrag mit dem Titel „Feldpost aus dem Zweiten Weltkrieg. Von Sterbfritz nach Stalingrad - und nie wieder zurück“ fand am Samstag, 9. November um 19.30 Uhr in der Mehrzweckhalle Sterbfritz statt.

 

Ein junger Mann aus Sterbfritz, mehr Jugendlicher als Erwachsener, will in den Krieg. Etwas von der Welt sehen, etwas erleben. Sein Vater kann zunächst verhindern, dass er sich freiwillig meldet, doch als Heinrich Euler 18 Jahre alt ist, wird er zur Wehrmacht eingezogen und kommt an die Ostfront. Je näher die Realität des Krieges an ihn heran-rückt, umso mehr scheint seine anfängliche Kriegsbegeisterung zu schwinden. Die letzten Lebenszeichen, die seine Eltern erreichen, sind Feldpostbriefe, geschrieben im Winter 1942/43 aus dem Kessel von Stalingrad. In einem dieser Briefe hinterlässt Heinrich Euler ein eindrückliches Bekenntnis gegen den Krieg.

 

Anhand der Feldpostbriefe des Heinrich Euler schilderte Referent Thomas Müller das Schicksal vieler junger Soldaten, die die Schrecken des Krieges erlebten. Erlebnisse, die auch heute nichts an ihrer Aktualität verloren haben.

 

 

Am Volkstrauertag benannte das Chronikteam des Dorfvereins sowohl die Gefallenen des Jahres 1944 als auch die im Jahr 1944 ermordeten Juden aus Sterbfritz. Auszüge aus Feldpostbriefen und Informationen zu jüdischen Einzelschicksalen zeigten den Schrecken des Krieges und des Holocausts eindrucksvoll und bewegend auf.

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